Schamanentrommel
I. Vorbemerkungen
II. Ergologie und Typologie
III. Spieltechnik
IV. Brauchtum und Symbolik
I. Vorbemerkungen
Mit Schamanismus wird in der religionsethnologischen Lit. ein weitläufiger Komplex magisch-religiöser und kultisch-ritueller Erscheinungen und Handlungen bezeichnet, die fast bei allen Naturvölkern und in den alten Hochkulturen teils in Ansätzen, teils in reicherer Entfaltung vorkommen bzw. vorgekommen sind. Nirgends aber manifestierte sich dieser bis vor kurzem noch so eindrucksvoll und intensiv wie bei den Völkern Nordasiens, vom Ural bis zu den fernöstl. Gebieten Sibiriens, von der Eismeerküste bis zu den mächtigen Gebirgsketten und Steppengebieten Innerasiens sowie bis in das 18. Jh. bei den Lappen in Fenno-Skandinavien. Träger und Vollzieher der kultisch-rituellen Handlungen war der Schamane, der vermöge besonderer psycho-mentaler Veranlagung von den Geistern seiner Vorfahren oder Sippe gegen seinen Willen gezwungen war, das Schamanentum zu übernehmen. Seine sozial-religiöse Funktion war es, mit Beistand meist tiergestaltiger Schutz- und Hilfsgeister visionär-ekstatischer Vermittler zwischen dem Dies- und Jenseits zu sein, zwischen seiner Sippe und den übernatürlichen Wesen und Gottheiten. Der Schamane wurde vor allem beansprucht, wenn man über die greifbare Wirklichkeit hinausgehen mußte, insbesondere bei Krankenheilungen, jedoch auch bei Ausübung von Jagd- und Wetterzauber sowie beim Erkunden weit entlegener und verborgener Dinge. Die besondere Technik, die Verbindung mit der übernatürlichen Welt zu gewinnen, wurde durch Ekstase erzielt. Auf der Höhe einer durch diese bewirkten, gewaltsam motorischen Erregung geriet der Schamane in einen tranceähnlichen Zustand. Er wurde von Geistern ergriffen, die sich durch seinen Mund äußerten, oder seine Seele verließ als sein alter ego den Körper und begab sich auf eine gefahrvolle Reise in die übersinnliche Welt der Geister. Als religiöses Genie, als Kenner und Bewahrer der kosmologischen, mythologischen und epischen Traditionen seiner Sippe sowie als Meister des Wortes mit der Gabe, in dichterischmus. Form das kundzugeben, was er auf seiner Seelenreise erschaute und erlebte, in all diesen Eigenschaften war er wie kein anderer befähigt, Mittler zwischen seinen Mitmenschen und den übernatürlichen Mächten zu sein. Außer durch stimulierende Drogen, durch Gsg., Rezitation und tänzerische Bewegungen versetzte sich der Schamane vor allem durch Schlagen auf seine Trommel in Ekstase. Diese war eines seiner wichtigsten Attribute und nach außen hin das Symbol seines Schamanentums. Ohne sie war er nicht der, der er war, obwohl auch andere Musikinstr. wie z.B. die Maultrommel bei den Tungusen und Mongolen oder die Leier bei den obugrischen Völkern Westsibiriens Schamanengerät sein konnten.
II. Ergologie und Typologie
Wie alle einfelligen Rahmentrommeln besteht auch die Schamanentrommel aus einem mehr oder minder dünnen, rund bis oval, elliptisch oder eiförmig gebogenen Holzspan, dessen eine Seite mit Fell überzogen ist. Ihre Dimensionen variieren stark mit einer Länge bzw. einem Diameter von 30-100 cm und einer Rahmenhöhe von 2,5-20 cm. Bei Biegung des Spans wurden seine abgeflachten Enden übereinandergelegt und mit durch Stichlöcher gezogene Wurzelfasern, Sehnen- und Bastfäden, dünnen Riemen oder wie z.f. bei den Lappen durch Metallnieten zusammengehalten. Die Wahl des Holzes richtete sich nach den örtlichen Gegebenheiten. Über den Rahmen wurde als Membrane ein zuvor sorgfältig gereinigtes Tierfell gespannt, so z.B. dasjenige eines Rentieres, Marals, Elches oder auch eines Pferdes usw., jeweils gemäß den Traditionen des entsprechenden Volkes. Bei vielen Völkern sind zwischen Rahmen und Fell mehrere Protuberanzen aus Holz, Horn oder Tln. eines schwammigen Birkenpilzes fest aufgesetzt, die symbolisch als Härner, Ohren oder Zitzen der Trommel gedeutet wurden und deren mögliche ak. Funktion bisher noch nicht untersucht ist. Das Fell ist mit der enthaarten Seite nach oben entweder an der Innen- oder Außenseite des Rahmens teils aufgeklebt (Giljaken, Ainu, Burjaten, Solonen, Mandschuren usw.), teils festgenäht (Lappen, Jakuten, Tungusen, Altaier usw.), bisweilen auch mit Holzstiften oder einer Sehnenschnur befestigt, die außen in einer eingekerbten Rille den Rahmen an dessen Oberrand fest umspannt. Außer Rahmentrommeln waren bei den Lappen als Sondertyp Schalentrommeln verbreitet, deren Corpus aus einem Holzblock ausgeschnitten und in dessen Bodenmitte durch zwei parallele Längsschnitte ein Mittelstück als Handhabe ausgespart ist (vgl. MGG VIII, Sp. 213/14, Abb.). – Als klassifikatorisches Leitkriterium der Schamanentrommel bietet sich vor allem die Form und Konstruktion des Griffes an, an dem der Schamane seine Trommel hielt. Außer bei den sogen. Stielgrifftrommeln, deren kurzer Griff seitlich außen am Rahmen befestigt ist (vgl. MGG III, Sp. 1529, Abb. 1) und die als typologisch relativ homogene Gruppe vor allem im äußersten Nordosten Sibiriens bei den Eskimos und Tschuktschen sowohl als Schamanengerät als auch als Familieninstr. zur Begl. von Liedern und Tanzen geschlagen wurden, ist die Handhabe im Innern des Rahmens angebracht. Drei Grundtypen der Innengrifftrommeln lassen sich unterscheiden, die mit bestimmten Kulturgebieten in Verbindung gebracht werden können und deren zahlreiche Varianten vielfach über interethnische und hist. ethnogenetische Zusammenhänge Aufschluß erteilen: 1. Trommeln mit einem vertikal im Rahmen fest verzapften Holzstab, der sich zu der abgerundeten Mitte hin verjüngt; 1-2 Querstützen aus Holz oder Eisen verstärken den Rahmen. Sie begegnen vor allem bei den Lappen und den turksprachigen Völkern des Altai-Sajan-Gebietes (Südwestsibirien). Bei letzteren ist der Längsstab oft an einem oder beiden Enden anthropomorph ausgeschnitzt. 2. Trommeln mit einem Griff in Form einer Y-förmigen Astgabel, der mit Riemen oder Sehnenfäden am Rahmen befestigt und häufig mit Tuch umwickelt ist. Sie begegnen bei den obugrischen und samojedischen Völkern Westsibiriens. 3. Trommeln mit kreuzartigem Griff, die über weite Gebiete u.a. bei den Nordtungusen und Jakuten, den südtungusischen und paläosibirischen Völkern des Amurgebietes sowie bei den transbaikalischen Burjaten verbreitet sind. Der Griff besteht aus einem mehr oder minder kompliziert ausgeformten Kreuz aus Holz oder Eisen, das mit Lederriemen am Rahmen lose eingebunden ist, im Amurgebiet und bei den Burjaten aus einem kleinen Hanfoder Eisenring in der Mitte, der mit kreuzförmig gezogenen Riemen oder Schnüren gleichfalls lose am Rahmen befestigt ist. – Als mit potentieller magischer Energie geladene Zubehörteile verschiedenartigsten symbolischen Sinngehalts sind oft an der Rahmeninnenseite Eisenklammern befestigt; an ihnen sind als idiophone Elemente Objekte wie metallene Ringe, Plättchen und Figürchen oder Rollschellen, Münzen usw. aufgereiht, die die ak. Effekte des Trommelspiels erheblich steigerten. Bei den südwestsibirischen Völkern des Altai-Sajan-Gebietes und den Lappen sind die magischen Zubehörteile überwiegend am Querstab der Trommel angehängt, bei den Lappen am Ende langer, mit Zinndraht umwickelter Riemen (vgl. MGG VIII, Taf. 7). – Die Trommelschlegel bestehen im ganzen nordasiat. Raum aus einem Stab bzw. einer Platte aus Holz, Knochen oder Horn von unterschiedlicher Länge und Breite. Sie enden oben vielfach in einem kurzen, oft tiergestaltigen Handgriff. Zwecks Dämpfung oder Färbung des Trommelklanges ist ihre leicht ausgehöhlte Schlagfläche mit Tierfell oder der Zungenhaut eines Tieres bezogen. Die Lappen verwendeten hingegen einen hammerähnlichen Schlegel aus Rentierhorn in Form eines T oder Y. Als selbständiges Attribut verwendeten die Schamanen einiger sibirischer Völker den Schlegel als Gerät, um Kranke zu heilen oder wahrzusagen.