I.
1. Allgemeines.
2. Teil- u. Doppelbestattung.
3. Lebendig begraben.
4. Grab machen.
5. Offenes Grab.
6. Grab schließen.
7. Umwandlung.
8. Schießen.
9. Vorzeichen.
II. Begräbnisort.
III. Begräbniszeit.
IV. Begräbniswetter.
V.Begräbniskosten.
I.
1. Allgemeines.
Das Begräbnis unter Beobachtung aller Riten hat ursprünglich den Zweck, die Überlebenden von der Befleckung durch den Leichnam zu befreien und zugleich dem Verstorbenen den Übergang in eine andere Welt, zu dem Volk der Toten, zu erleichtern, damit er nicht weiter die Überlebenden beunruhige oder gar durch seine Bosheit schädige (Trennungsriten). Darum finden wir zweierlei Gefühle, die oft noch sehr deutlich aus den Bestattungsriten durchschimmern: einerseits Furcht vor dem Toten, der sehr oft als böse vorgestellt wird, anderseits Liebe und Pietät ihm gegenüber1). Eine psychologische Erklärung dieser entgegengesetzten Gefühle, dieser Ambivalenz, versucht Freud2). Aus beiden Gefühlen erklärt sich die große Sorge der Hinterbliebenen, daß bei der Bestattung alles richtig, der alten Sitte gemäß, hergehe, wobei oft noch der Glaube herrscht, der Tote beobachte und fühle alles, was um ihn her geschieht. Darum bemerkt man auch gerade bei den Begräbnisgebräuchen ein besonders zähes Festhalten an alter Sitte3). Heutzutage ist es unmöglich bei jedem Brauch zu bestimmen, ob er durch Furcht oder Liebe veranlaßt sei, weil oft dieselbe Handlung von dem einen noch als Abwehr gegen den Toten, von dem andern aber als pietätvolle Pflicht zur Ehrung des Verstorbenen empfunden oder erklärt wird.
Schon der Lebende sorgt, daß für seinen Tod alles Nötige bereit sei (Bruderschaften), und daß alles nach altem Brauch und nicht zu ärmlich zugehen werde (s. Leichenmahl). Das ist auch die Sorge der Hinterbliebenen, meist mit der Begründung, es sei eine Ehrung des Toten. Doch glaubt man auch, der Tote müsse sonst zurückkehren4). Darum hat alles, was beim Begräbnis unerwartet, gegen den gewöhnlichen Brauch geschieht, schlimme Vorbedeutung.
Vor allem war und ist es wichtig, daß der Tote überhaupt begraben werden kann (s. unbegraben), und daß er in der Heimat bei seinen Angehörigen liege. Drum werden alle Anstrengungen gemacht, z.Begräbnis die Leiche eines Ertrunkenen (s.d.) zu finden5). Bleibt die Leiche aber verschwunden, so soll ein Scheinb. dem Toten Ruhe verschaffen. Aus alter Zeit stammt der Bericht des Paulus Diaconus, daß bei den Langobarden, wenn einer im Kriege oder sonstwo umgekommen, seine Verwandten auf ihre Gräber eine Stange (perticae, id est trabes erectae) aufstellten, auf deren Spitze eine hölzerne Taube befestigt war, die nach der Gegend schaute, wo der Betreffende gestorben (ut sciri possit, in quam partem his qui defunctus fuerat quiesceret)6). Als Seelenvogel, als eine Bannung des Toten in die Stange, wird man das kaum auffassen können. Eine sichere Deutung scheint mir unmöglich; wahrscheinlich soll es ein »Heimweisen« des Toten sein, damit er bei seinem Geschlechte ruhe. Am nächsten damit verwandt scheint mir ein bei Crooke erwähnter indischer Brauch vgl. 6). In Siebenbürgen begräbt man ein Kleidungsstück des in der Fremde Verstorbenen in die Erde eines Berges beim Heimatdorf7). Auf Föhr hält man einen Trauergottesdienst8), in Frankreich eine eigentliche Leichenfeier, wobei ein Kreuz den Toten vertritt9), ein Zeichen, daß man nur durch Ausführung der Begräbnisriten dem Toten zur Ruhe verhilft10).
Die Begräbnispflicht liegt den Verwandten ob, aber auch jedem, der eine Leiche antrifft (Sagen vom dankbaren Toten)11). Die Angehörigen sind am meisten den Angriffen des Toten ausgesetzt, und es heißt darum bis heute sehr oft, daß der Tote einen von ihnen nachholt, falls irgend etwas beim Begräbnis versehen wird.
Seit der Einführung des Christentums legte man Wert auf regelrechte Bestattung, weil man die Auferstehung des Leibes davon abhängig ansah, und dann besonders, weil alle die Riten der Kirche, insbesondere die Bestattung in geweihter Erde, als Hilfe für das Seelenheil des Toten betrachtet wurden12). In Sagen spuken Ermordete oder andere Tote, die in ungeweihter Erde begraben worden sind, bis man ihre Gebeine auf den geweihten Friedhof bringt13). Die Juden glaubten, wer in fremden Ländern sterbe, müsse sich durch unterirdische Klüfte wälzen bis ins gelobte Land, sonst werde er nicht auferstehen14). Verweigerung des »ehrlichen« Begräbnisses galt immer schon als Bestrafung und wurde gegen Verbrecher angewandt. Der Brauch geht in heidnische Zeit zurück und bestand wohl in der Versagung der üblichen Riten und im Begräbnis abgesondert von den Toten der Sippe15). In der christlichen Zeit liegt die Bestrafung darin, daß der Tote ohne die kirchlichen Zeremonien und in ungeweihte Erde bestattet wird, ein Vorgehen, an dem auch die protestantische Kirche anfangs festhielt16). Eine Verschärfung (in heidnischer und christlicher Zeit) war es, wenn die Leiche noch vernichtet oder weggeschafft, d.h. dem Feuer oder Wasser übergeben wurde; denn sie einfach liegen zu lassen, wäre zu gefährlich gewesen, da man gerade solche Tote besonders fürchten mußte. S. Leichenverbrennung, Selbstmörder, Wiedergänger17).
1) ERE. 4, 419. 426; 2, 21 f.; v. Gennep Rites de passage 209 ff.; Lévy-Bruhl Fonctions mentales 352 ff.; Scherke Primitive 156 ff.; Wasmansdorff Die religiösen Motive d. Totenbestattung (Progr. Berlin 1884); Lehrbuch d. Rel.gesch.4 2, 563 ff. 2) S. Freud Totem u. Tabu (1922) 70 ff. 3) Meyer Germ. Myth. 61 f. 4) Wittstock Siebenbürgen 100; John Erzgebirge 115; Strackerjan 2, 217; Baumgarten Aus der Heimat 3, 112; Hoops Sassen 119; Lucius Heiligenkult 26; vgl. Pauly-Wissowa 3, 333. 347; Feilberg Dansk Bondeliv 2, 111 f. 5) MschlesVk. 9. Heft 21. 53. 87; Sartori Sitte u. Brauch 1, 154; Kühnau Sagen 2, 281; Wittstock Siebenbürgen 60; Fogel Pennsylvania 135 Nr. 622; Le Braz Légende 1, 395; vgl. Dieterich Mutter Erde 52. 6) Paulus Diaconus 5, 34; vgl. Meyer Germ. Myth. 63; Ebert Reallex. 4, 2, 492; Weicker Seelenvogel 10; Grimm Kl. Schr. 5, 447; Crooke Northern India 223 f. 7) Wlislocki Magyaren 12; vgl. FFC. 41, 182; Mélusine 2, 418. ZfVk. 19, 277. 9) RTrp. 12, 396; 14, 346; Le Braz Légende 1, 424 ff. 10) ERE. 4, 428; Scherke Primitive 60 u. 170; ZfVk. 14, 401; 15, 5; Liebrecht Z. Volksk. 398 f.; Pauly-Wissowa 3, 333 f.; Crooke Northern India 230 f.; FL. 8, 334 f.; 15, 123; Zelenin Russ. Volksk. 326. 11) Simrock Mythologie 117 f.; Brunner Deutsche Rechtsgeschichte2 1, 127; Pauly-Wissowa 3, 347; ERE. 4, 420; ZfVk. 14, 30 ff.; Bolte-Polivka 3, 490 ff. 511 f.; Schwebel Tod u.- ewiges Leben 328 f.; ZfvglRechtswiss. 33, 359. 12) Lucius Heiligenkult 25 f.; Wasmansdorff Die religiösen Motive der Totenbestattung 17 f. 13) Meyer Aberglaube 351; Kühnau Sagen 1, 44. 46 ff. 56; Haupt Lausitz 1, 148 Nr. 169; Meiche Sagen 183 Nr. 251; Stemplinger Aberglaube 60; Meier Schwaben 1, 303; Feilberg Dansk Bondeliv 2, 128 f. u. 132. 14) Buxtorf Judenschul 617. 15) Brunner Deutsche Rechtsgeschichte2 1, 244. 246 f.; Amira Grundriß 238. 16) Bodemeyer Rechtsalterth. 176 ff. 17) AfdA. 28, 315 ff.; SAVk. 26, 145 ff.
2. Teil- u. Doppelbestattung.
Teil- und Doppelbestattung kommen in älterer Zeit noch vor. Bei Fürstenleichen wurden etwa Herz, Eingeweide, Kopf oder Gebeine besonders begraben. Dies wird z.Begräbnis von Barbarossas Leichnam berichtet18). Oder nur der Kopf wurde begraben, wahrscheinlich, weil er als Sitz der Seele galt19). Noch Durand erklärt: »Religiosa sunt, ubi cadaver hominis integrum, vel etiam caput tantum sepelitur ... corpus vero vel aliquod aliud membrum absque capite sepultum, non facit locum religiosum«20) (s. Totenschädel).
Doppelbestattung kann man es nennen, wenn nach der Verwesung die Gebeine wieder begraben oder sorgfältig in einem Beinhaus gesammelt werden. Es scheint noch etwa der Glaube zu herrschen, daß an den Knochen etwas vom Toten haftet (s. Totenknochen). Ein Totengräber legt die Gebeine seiner Verwandten in das Grab eines unschuldigen Kindes mit der Behauptung, das tue den Toten noch im Himmel wohl, und es verkürze die Büßung21).
18) Chron. d. Otto v. St. Blasien c. 35; Sitzb. Berlin 1920, 478; Lünig Theatr. Ceremon. 2, 765 f.; Simrock Myth. 577; Schwebel Tod u. ewiges Leben 244 f.; Witzschel Thüringen 2, 17; Schultz Höfisches Leben 2, 464 f.; noch bei Franz Joseph (nach Zeitungsberichten Nov. 1916). 19) Deonna Croyances 457; Amira Todesstr. 212; Weinhold D. heidn. Totenbestattung 42 u. 128; Ebert Reallex. 4, 455 f.; Helm Religgesch. 1, 132 f.; vgl. Graber Kärnten 168 Nr. 218. 20) Durand Rationale (1565) 21b. 21) Alpenrosen, ein Schweizer-Almanach 1813, 180; vgl. Jörger Vals 54; ERE. 4, 442; Scherke Primitive 74 ff.; Lammert 109; Pauly-Wissowa 3, 357. ZfVk. 18, 360; Rochholz Sagen 2, 159; ZfVk. 14, 33; ARw. 9, 385 ff.
3. Lebendig begraben.
Daß Leute lebendig begraben wurden, findet sich in sagenhaften Berichten; besonders wird es von den alten »Heiden« erzählt, oder es hat den Sinn eines Opfers (Bauopfer)22). Als Rechtsstrafe kam es früher häufig vor23).
22) Schell Berg. Sagen 506 Nr. 24; Korth Jülich 117 f.; Ders. Bergheim 26 f.; Müllenhoff Sagen 537 Nr. 530; Lütolf Sagen 253; Kuhn Westfalen 106 Nr. 109; Kuhn u. Schwartz 72 Nr. 74; Tetzner Slaven 377; Graber Kärnten 208 Nr. 281; 423 Nr. 576; vgl. Amira Todesstr. 214. 23) Grimm RA. 2, 274 ff